Ein gewisses unüberlegtes Draufloswirtschaften muss an der Tagesordnung gewesen sein, schreibt ein Autor zur Lage in Überlingen um das Jahr 1600. (Friedrich Schäfer, Wirtschafts- und Finanzgeschichte der Reichsstadt Überlingen, 1893)
Davon kann 400 Jahre später keine Rede sein. An der Tagesordnung ist vielmehr eine straffe Finanzführung, forciert von Oberbürgermeister und Kämmerer. Sie ermöglicht es der Stadt nun, finanziell halbwegs glimpflich durch die Corona-Krise zu kommen.
Gewerbe- und Einkommenssteuern brechen ein, die Verpflichtungen steigen, die Landesgartenschau unter Corona-Bedingungen kostet. Dennoch wird uns 2022 bis 2024 ein ausgeglichener Ergebnishaushalt gelingen (voraussichtlich). Das ist eine starke Leistung – aber nicht ausreichend, denn auch eine gute schwarze Null generiert nicht genügend Mittel für die geplanten Investitionen. Die Verschuldung wird von aktuell 12 Mio. Euro auf 39 Mio. Euro steigen (voraussichtlich). Die Stadt ist gefordert, zusätzliche Einnahmen zu generieren.
Das Wort Haushaltswahrheit macht die Runde. Zur Wahrheit gehört: Überlingen ist eine reiche Stadt; ein Ergebnishaushalt von über 70 Mio. Euro und in den nächsten 4 Jahren Investitionstätigkeiten von fast 80 Mio. Euro. Zur Wahrheit gehört auch: Die Liquidität ist nur deshalb so gut, weil wir seit Jahren nicht alle Bauvorhaben umgesetzt bekommen.
Das Neue Kommunale Haushaltsrecht erzwingt ein wahrheitsgemäßes Bild der Haushaltslage: Interne Leistungen werden berücksichtigt, Abschreibungen müssen erwirtschaftet werden. Alles sehr komplex.
Die Unkenntnis der Steuergesetze befreit nicht von der Pflicht zum Steuerzahlen. Die Kenntnis aber häufig. (Meyer A. Rothschild)
Kämmerei und Abteilung Liegenschaften sind wahre Meister im Durchdringen der Steuergesetze, zum finanziellen Vorteil für die Stadt und zu einem großen Teil unbemerkt von uns.
Haushaltsrecht ist Königsrecht: Ein überschaubares Reich, über das der Gemeinderat frei walten kann, fast alles sind Pflichtaufgaben. Der Haushalt bietet nur wenig Platz für Könige und Politiker.
Verlässlichkeit
Haushaltswahrheit bedeutet Verlässlichkeit. Der Gemeinderat muss sich darauf verlassen können: Was die Fachabteilungen in den Haushalt zur Umsetzung einbringen, kann von ihnen auch tatsächlich so umgesetzt werden. Das war bisher nicht der Fall.
Verwaltungsspitze, Fachabteilungen und Gemeinderat müssen zeigen, dass sie verlässlich sind. Ganz konkret: Bis Ende 2022 Modernisierung Kapuzinerkirche und Generalsanierung Torhaus; bis Ende 2023 Neubau Feuerwehrhaus Ost und Kindergarten Nesselwangen; bis Ende 2024 Neubau Bunte Villa und Neubau Kindergarten Nord. Hinzu kommt, wenn auch im Haushaltsplan noch nicht vollständig abgebildet, Sanierung Wiestorschule, Neubau Gymnasium und Neubau Feuerwehrhaus Schlachthausstraße.
Alles Pflichtaufgaben, kein Wunschprogramm. Zwingend erforderlich: Fokussierung auf diese Projekte, keine neuen Projekte, regelmäßige Sachstandsberichte im Gemeinderat und möglichweise organisatorische Neuordnungen in der Verwaltung.
Zur Bedeutung der Feuerwehr möchten wir auf zwei traurige Jubiläen hinweisen: Vor genau 30 Jahren, am 2. Dezember 1990, brannte das Gebäude Fauler Pelz. Und vor fast auf den Tag genau 50 Jahren, am 14. Dezember 1970, brannte das Haus in der Turmgasse nieder, 5 Mitglieder und Gäste der Familie Freda starben.
Kosten
Je kleiner die Beträge, desto größer die politische Auseinandersetzung. Über Zuschüsse von ein paar Tausend Euro debattieren wir leidenschaftlich. Wieviel größeres Engagement müssen wir bei Baukosten in Millionenhöhe zeigen.
Der Gemeinderat muss kritischer als bisher die Gesamtkosten hinterfragen, die Verwaltung muss effektiver als bisher interne Projektabläufe gestalten, wir müssen stärker als bisher Instrumente zur Kostenkontrolle nutzen und mehr als bisher Akzeptanz für kostengünstigere Zweckbauten entwickeln.
Welche Standards wollen wir uns leisten, was wird wirklich benötigt? Beides wirkt sich nicht nur auf die direkten Kosten aus, sondern auch auf die Instandhaltung und Abschreibung, Jahr für Jahr, über Jahrzehnte. Hier sitzt unser größter Hebel, hier liegt unsere wesentlichste Bauherrenaufgabe. Was wir nicht unnötig für notwendige Bauwerke ausgeben, müssen wir nicht aufbringen, nicht verzinsen, nicht abschreiben.
Der Gemeinderat muss am Anfang der Planung darum ringen, was wirklich benötigt wird und was nicht. Es ist entscheidend, auch denen, die aus der Praxis kommen, sehr gut zuzuhören und sie einzubinden: Lehrerschaft, Erziehungskräfte, Werkhof, Feuerwehr, Veranstalter. Sie wollen praktische Lösungen, keine teuren Lösungen.
Jugend
Hauptfokus der Investitionen ist die Jugend. Die Stadt ist mitverantwortlich, ihnen einen Haushalt mit Gestaltungsmöglichkeiten, eine funktionierende städtische Gemeinschaft und eine intakte Umwelt zu bewahren. Hierzu gehören konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz, zur Verringerung der Schadstoffbelastung in Luft, Wasser und Nahrungsmitteln, zu bezahlbarem Wohnraum, zur Unterstützung der Vereine, zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, zur kulturellen Bildung und Freizeitgestaltung.
Der Haushaltsplan 2021 bis 2024 nimmt diese Verantwortung ernst: Nach Inbetriebnahme der neuen Sporthalle nun Sanierung und Neubau von Schulen und Kindertagesstätten, erhöhte Jugend- und Investitionszuschüsse für Vereine, erhöhte Förderung der Jugendsozialarbeit, Ertüchtigung der Kapuzinerkirche als ganzjährige Kulturstätte, Aufenthaltsqualität und bessere Luft in der Innenstadt durch Verkehrsberuhigung, vierte Reinigungsstufe in der Kläranlage zur Entfernung chemischer Rückstände, Umsetzung des Klimaschutz-Masterplans und Koordinierung durch die neu geschaffene Stelle des Klimamanagers. Sicher wird sich auch der neu gewählte Jugendgemeinderat aktiv in diese Themen einbringen.
Ich habe in langer Zeit noch immer gefunden, dass die Einwohnerschaft unsrer Stadt für jedes gute Werk auf christlichem, sozialem oder politischem Gebiet leicht zu gewinnen ist, wenn man sich nur die Mühe gibt, sie dafür zu interessieren. (Überlinger Pfarrer Ewald im Jahr 1875)
In diesem Sinne bemühen wir uns, die Einwohnerschaft zu interessieren und für das, was wir 2021 bis 2024 vorhaben, zu gewinnen!