Was für ein Jahr 2021: eine fantastische Landesgartenschau, ein vielfältiges Stadtjubiläum, unter wechselnden Pandemie-Bedingungen. Und nun der erste Doppelhaushalt. Was für eine Premiere: Andere Städte wechseln angesichts der Unwägbarkeiten vom Doppel- zum einjährigen Haushalt, Überlingen macht es im zweiten Pandemiejahr umgekehrt: Kein Leichtsinn, sondern wohl Ausdruck, wie sehr der Haushalt in den vergangenen Jahren auf das Notwendige heruntergekürzt wurde. Da gibt es keine großen Spielräume mehr, egal, ob für ein oder für zwei Jahre geplant wird. Dazu passt, dass der Gemeinderat so gut wie keine finanzrelevanten Anträge in den Haushalt einbringt, im Gegensatz zu anderen Kommunen.
Investitionen und Umsetzung
Nur Notwendiges, und trotzdem ist der Rucksack zu voll bei Investitionen von 119 Mio. EUR in den kommenden 5 Jahren: zu voll wegen der geplanten, grenzwertig hohen Kreditaufnahme von 43,5 Mio. EUR bis 2026; zu voll wegen der geplanten, grenzwertig langen Tilgungsdauer von 40 Jahren; zu voll wegen der Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit der Umsetzung. Ein Blick in die Geschichte:
„Bei einem Rückblick stellt man fest, dass es sich nicht um Einsparungen, sondern lediglich um nicht ausgegebene Gelder handelt, weil es nicht geschafft wurde, notwendige Vorhaben zu realisieren.“ (Haushaltsrede SPD, 2016)
„Die Fraktion ist der Überzeugung, dass strukturelle Veränderungen nötig sind, damit beschlossene und finanzierte Projekte in der geplanten Zeit auch umgesetzt werden.“ (LBU/Die Grünen, 2017)
„Sorgen macht der Fraktion nach wie vor die Umsetzung des Plans. Die Bugwelle der nicht realisierten Vorhaben baut sich nicht ab, im Gegenteil.“ (FWV/ÜfA, 2018)
„Wir wiederholen noch einmal unsere Aufforderung an die Verwaltung, bei solchen Projekten intensiv zu prüfen, welche Phasen extern vergeben werden können, um diese schneller in die Umsetzung zu bringen.“ (CDU, 2019)
„Wir zerbrechen uns den Kopf über Projekte und deren Kosten, von denen man schon jetzt weiß, dass sie gar nicht im geplanten Jahr realisiert werden können.“ (FDP, 2019)
Fünf konkrete Maßnahmen aus unserer Sicht:
- Auf Antrag der Fraktionen LBU/Die Grünen und CDU – und sicher im Sinne des gesamten Gemeinderats – wird der Fachbereich 4 im ersten Quartal 2022 dem Gemeinderat konkrete Vorschläge machen, welche Projekte wie und wann extern vergeben werden können.
- Für die erste Jahreshälfte 2022 erwarten wir eine Organisationsuntersuchung, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter strukturell in ihrer Arbeit unterstützt werden können.
- An die erneute Erhöhung des Personalhaushalts (neben gesetzlich erforderlichen Stellenmehrungen) knüpfen wir Erwartungen auch in Bezug auf die Umsetzung von Projekten.
- Mehr Mut zu kostengünstigen Zweckbauten. Hier entscheidet sich ganz wesentlich das geforderte „nicht ob, sondern wie“. Aus zeitlicher Not geborene Wohnmodule, die schlimmstenfalls doppelt so teuer sind wie langfristig und vielseitig nutzbare Häuser, passen so gar nicht dazu. Darüber sollten wir noch intensiv nachdenken.
- Der Gemeinderat muss anhand der Quartalsberichte und Projektstufenpläne unterjährig seine Lenkungs- und Steuerungsfunktion wahrnehmen, erheblich aktiver als bisher.
Kinder, Jugend und Soziales
Der Hauptteil der Investitionsprojekte betrifft Kinder und Jugend: Neubau-Investitionen für drei Kindergärten und einen Interimsbau, Sanierung Wiestorschule, Neubau Gymnasium; Gesamtkosten über 60 Mio. EUR; und nächstes Jahr die Anschaffung und Installation von Lüftungsanlagen für Kindertagesstätten und Schulklassen 1 bis 6. Das sind große Lasten. Sie werden zurechtgerückt durch die Worte von Landrat Schiess aus dem Jahr 1962, damals zur Investition in die Berufsschulen:
„Die Betreuung des Berufsschulwesens zählt zu den Lieblingsaufgaben des Landkreises. Kreisrat und Kreistag hoffen, dass sie durch Erfüllung dieser Aufgaben beitragen dürfen, dass unsere Jugend eine gute Ausbildung erhält und so die Gewähr geboten wird, dass die nach uns kommende Generation wiederum ihre Aufgaben erfüllen kann“.
„Lieblingsaufgabe“, an deren Erfüllung wir „beitragen dürfen“ – so muss es klingen.
Die Verantwortung der Stadt für Jugend und kommende Generationen liegt auch im Bereich Klima und Umwelt. Ein Bündel von Maßnahmen ist angelaufen, und konkrete Schritte wie diese sind aus unserer Sicht der richtige Weg: Klimaanalyse und Klimaschutz-Masterplan, zusätzliche Personalstellen für Klima- und Energiemanagement, Umstellung öffentlicher Beleuchtung auf LED, Nutzung von Geothermie für das Sportzentrum und künftig den gesamten Schulcampus, Unterstützung von Solarthermie am Schättlisberg, Ausbau von Digitalisierung und papierlosem Dokumentenaustausch, Richtlinie für Freiflächen-Photovoltaikanlagen, innovatives Niederschlagswasser-Management für das Neubaugebiet Südlich Härlen, Bau der vierten Reinigungsstufe im Verbandsklärwerk.
Weiteres
Wohnraum: Nicht zuletzt kommt es Kindern und Jugendlichen zugute, wenn wir Wohnraum in der Stadt schaffen, den sich junge Familien leisten können. Städtische Grundstücke und das Wohnbaulandmodell müssen dafür genutzt werden müssen, so konsequent wie möglich. Daneben sind dringend Strategien und Maßnahmen erforderlich, um bestehenden Wohnraum besser und leerstehenden Wohnraum überhaupt nutzbar zu machen. Hier liegt zudem erhebliches Einsparungspotential für den Haushalt. Und auch die Unterbringung von Obdachlosen, für die wir als Stadt nicht nur eine formale, sondern auch eine soziale Verantwortung tragen, könnte hiervon profitieren.
Feuerwehr: Sie leistet für Überlingen freiwillig einen unverzichtbaren Dienst, die Investitionen in diesem Bereich sind notwendig und gerechtfertigt: Das Feuerwehrhaus Ausrückbereich Ost mit 7,5 Mio. EUR; in den nächsten Jahren Ertüchtigung der Fahrzeugflotte mit rund 0,5 Mio. EUR pro Jahr; mittelfristig ein neues Feuerwehrgebäude in der Schlachthausstraße.
Landesgartenschau: Die endgültige Abrechnung steht noch aus, für die Stadtentwicklung kann sie schon jetzt als Erfolg verbucht werden, auch in Bezug auf die hohen Fördersummen, die zahlreiche Projekte erst möglich machten: Bürgerpark mit Gastronomie und Seezugang; Sanierung von Mantelhafen, Promenade und Landungsplatz; Pflanzenhaus; Menzinger und Rosenobel Gärten; Spiellandschaften für Kinder; Projekte in den Teilorten.
Gewerbe: Zum Ende des Jahres sind die Flächen des neuen Gewerbegebiets Oberried V praktisch komplett vergeben, trotz Pandemiezeiten. Das stärkt die ansässigen Betriebe und hat neue angezogen. Und Überlingen hat – im Gegensatz zu anderen Kommunen – trotz schwieriger Haushaltslage weder Grundsteuer noch Gewerbesteuer erhöht: Wichtige Schritte zur Stärkung der lokalen Wirtschaftskraft, auf die der städtische Haushalt angewiesen ist.
Swü: In eine Gesamtbetrachtung muss sie einbezogen werden. Als städtisches Unternehmen übernimmt sie mit Parkhäusern, Stadtbus und Therme Aufgaben der Stadt. Zusätzlich musste sie ein Parkhaus bauen, das notwendig war und Anfang 2021 eröffnet wurde, aufgrund der hohen Baukosten aber wohl nie rentabel sein wird. Zusammen mit den finanziellen Auswirkungen der Pandemie ist die Folge, dass die Ausschüttung der SWSee von rund 1,7 Mio. EUR pro Jahr an die Swü nicht mehr in den städtischen Haushalt weiterfließt, sondern vollständig von der Swü für ihre Aufgabenerfüllung benötigt wird. Auch das gehört zur Haushaltswahrheit.
Kennzahlen: Die meisten entziehen sich dem einfachen Verständnis, auch ihre Namen sind hinreichend kompliziert („Finanzausgleichsumlage“). Uns gefällt die von der Kämmerei eingebrachte Kennzahl: Wir dürfen für die kommenden Generationen das städtische Vermögen nicht schmälern. Daher muss die Stadt mindestens den Wertverlust von Gebäuden und Objekten (die Abschreibungen) und die Tilgung von Kreditaufnahmen erwirtschaften. Das ist ein einfaches, klares Konzept, wäre da nicht der Name: „Nettoinvestitionsfinanzierungsmittel 2.0“.
Kultur
„Nenne mir Muse die Stadt …“
So hob vor 31 Jahren Fritz Kleffner, Vorsitzender des IBC Nord und Stadtrat, zur Lobrede an. „Nenne mir Muse die Stadt …“: Wie auch immer der Satz weitergegangen sein mag, eines ist klar: Überlingen muss gemeint sein. Überlingen ist Kulturstadt: Bildende Kunst, Theater, Musik, Ausstellungen, Museum, Bibliotheken, Archiv, Musikschule und ihre Kapellen, Konzerte, Bodenseeliteraturpreis, „Leben am See“, „citta slow“, Kulturstätte Kapuzinerkirche, lebendige Vereine, Traditionen und Initiativen.
Der städtische Kulturetat muss dafür das Rückgrat sein – und bleiben; wir brauchen diese Kultur für unser Zusammenleben, unsere Diskussions-Kultur, unsere Integrations-Kultur. Ihre Bedeutung für die Stadtgesellschaft bemisst sich nicht nach Heller und Pfennig, Kennzahlen allein greifen zu kurz.
Nächste Schritte
Der Rucksack ist zu voll, auf die Schultern gewuchtet ist er auch noch nicht. Denn Finanzplanung ist keine Steuerung der Umsetzung. Verlässlichkeit in der Umsetzung muss daher die Kernaufgabe für Gemeinderat und Verwaltung sein, und Maßnahmen hierzu müssen in den kommenden Monaten erfolgen. Unter dieser Bedingung hat die Fraktion LBU/Die Grünen der vorgelegten Haushaltssatzung zugestimmt.