Nach aufgeregter Dieseldiskussion ist es um die Luftschadstoff-Grenzwerte ruhig geworden. Wie wichtig sind sie? Und ist alles in Ordnung, auch in Überlingen?
Für Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub (PM10 und PM2,5 mit Durchmessern unter 10 bzw. 2,5 Mikrometern) wertete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Vielzahl von Forschungsergebnissen zur Gesundheitsauswirkung aus und leitete daraus Richtwerte für die Konzentration in der Außenluft, die nicht überschritten werden sollten, ab. Diese wurden in Grenzwerte der EU-Luftqualitätsrichtlinien und in Folge in nationales Recht überführt.
Info:
Es wird zwischen einer kurzen (Stunde, Tag) und einer langen (Jahr) Einwirkungsdauer unterschieden. Für kurze Zeiten erlauben Laborversuche die Wirkungsanalyse einzelner Schadstoffe unter kontrollierten Bedingungen. Für lange Zeiten fallen Laborversuche aus – welcher Freiwillige will schon ein Jahr in einer Kammer sitzen. Hier können nur statistische Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und den Umwelteigenschaften des Aufenthaltsortes ermittelt werden, wobei man es immer mit einem Gemisch von Schadstoffen und einer Überlagerung von Wirkungen zu tun hat. Daher betrachtet die WHO den Stoff NO2 nur als einen Indikator für ein komplexes, verkehrsbedingtes Stoffgemisch. Das wurde von den Kritikern der Grenzwerte nicht beachtet und führte sie zu falschen Schlussfolgerungen.
Die Auswertungen der WHO zeigen kausale Zusammenhänge zwischen der Konzentration von NO2 und Feinstaub und Atemwegs- und Herz-/Kreislauferkrankungen. Die EU und damit das deutsche Recht übernahm die Richtwerte für NO2 als Grenzwerte (Stundenmittel 200, Jahresmittel 40 µg/m³), ebenso den Kurzzeitwert für PM10 (Tagesmittel 50 µg/m³). Als Grenzwerte für das Jahresmittel von PM10 und PM2,5 übernahm die EU dagegen nicht die Richtwerte (20 bzw. 10 µg/m³), sondern legte deutlich höhere Werte fest (40 bzw. 25 µg/m³). Hier wird der Unterschied zwischen wissenschaftlich begründeten Richtwerten und politisch entschiedenen Grenzwerten deutlich.
In Deutschland gelten weitere Grenzwerte, für Überlingen besonders wichtig die für das Prädikat „Kneippheilbad“. In den Messungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) 2014 wurden Grenzwerte nicht eingehalten. Der DWD kommt zu dem Schluss: „Zusammengefasst führt die Bewertung der Luftqualitätsmessungen zu folgendem Entscheidungsvorschlag: Zur Zeit sind im Beurteilungsgebiet von Überlingen die lufthygienischen Voraussetzungen für die Bestätigung als Kneippheilbad nicht erfüllt. Eine Bestätigung dieses Prädikats kann aus lufthygienischer Sicht daher nicht befürwortet werden.“
Seit 2014 hat sich in Überlingen bei Verkehr und Heizanlagen (zwei wesentliche Quellen für NO2 und Feinstaub) nicht viel geändert, das Prädikat „Kneippheilbad“ ist daher in konkreter Gefahr. Eine geringere Konzentration ergibt sich in erster Linie durch eine geringere Emission, also weniger Emission pro Fahrzeug bzw. Haus (emissionsärmere Technologie) oder weniger Fahrzeuge. Da sich kurzfristig an der Technologie nicht viel ändert, bleibt nur die Reduktion der motorisierten Verkehrsmenge in der Innenstadt, wenn die Luft die für ein Kneippheilbad erforderliche Qualität erlangen soll – ein Maßstab, hinter den Überlingen weder aus gesellschaftlicher noch aus wirtschaftlicher Sicht zurück sollte.
Der neue Gemeinderat ist daher gefordert, in den kommenden 5 Jahren Maßnahmen in der Innenstadt umzusetzen, die zu einer Verbesserung der Luftqualität und zum Erhalt des Prädikats „Kneippheilbad“ führen. Wenn dabei auch noch die Aufenthaltsqualität steigt, haben alle etwas davon – Einwohner, Gäste und die Wirtschaft vor Ort.
Die Fraktion LBU/Die Grünen